Homocystein in der Vorsorge

Die normale Vorsorge für Gefäßkrankheiten (z.B. Herzinfarkt und Schlaganfall) ist der Check-up 35. Hier werden alle 2 Jahre mit einem Bluttest Risikofaktoren (Blutzucker und -fette) für Herzinfarkt und Schlaganfall gemessen. Eingeführt wurde diese Untersuchung als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 1989. Hat sich seitdem wirklich nichts getan?


Was ist Homocystein und warum ist es gefährlich?

Homocystein ist ein Nebenprodukt aus dem Eiweißstoffwechsel (Methionin-Abbau). Normalerweise wird es vom Körper rasch abgebaut – dafür müssen aber die Vorraussetzungen stimmen.

Bereits ein mäßig erhöhtes Homocystein führt zu einem 5x erhöhtem Risiko für Gefäßkrankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall und steigert auch das Risiko für Demenz und Alzheimer-Demenz.

Homocystein ist ein freies Radikal. Es verletzt die Innenhaut der Arterien, was Gerinnungsprozesse in der Gefäßwand auslöst. Brechen diese sogenannten Plaques auf, entstehen Blutgerinnsel. Ein erhöhter Homocysteinspiegel erniedrigt außerdem die Stickstoffmonoxid (NO)-Produktion, was zu einer Versteifung der Gefäßwand führt. Zusammenfassend führen diese Prozesse zu Arteriosklerose und Bluthochdruck.

Homocystein ist ein unabhängiger Risikofaktor: auch schlanke sportliche Menschen mit sehr gutem Blutzuckerspiegel und Blutfetten können hierdurch ein erhöhtes Risiko für Gefäßverkalkung haben.


Warum ist Homocystein bei manchen Menschen höher als bei anderen?

Wenn man einen große Müllhaufen aufräumen will, benötigt man einen Arbeiter und Hilfsmittel (z.B. Müllsäcke).

Bekommt  der Arbeiter nicht genügend Müllbeutel, wird er länger brauchen. Die Müllbeutel stehen für die Vitalstoffe Folsäure, Vitamin B2, B6 oder B12. Allein ein Mangel dieser Substanzen kann bereits den Homocysteinspiegel ansteigen lassen.

Es kann aber auch der Arbeiter krank sein: Der Arbeiter steht für das Enzym MTHFR (Methylentetrahydrofolat-Reduktase). 30-40% der Menschen in Mitteleuropa und Nordamerika haben eine genetische Mutation im Bereich des sogenannten MTHFR-Gens. Ein Gen ist sozusagen der Bauplan, mit dem die Zelle dann das Enzym MTHFR, also unseren Arbeiter, herstellt. Kurz gesagt führt ein Fehler im Bauplan zu einem fehlerhaften Produkt und damit zu unserem kranken Arbeiter, dem es schwer fällt Homocystein abzubauen.

Der Bauplan für dieses Enzym ist auf unseren Chromosomen vor allem an zwei unterschiedlichen Stellen (C677T und A1298C) abgespeichert. Jedes Chromosom hat die Information doppelt gespeichert – wie ein Computer, der zwei Festplatten hat, also eine Hauptplatte und ein Backup. Daraus ergeben sich zwei Szenarien.

  • Heterozygote Mutation (ca. 85-95% der Merkmalsträger): Hier ist nur ein „Datenträger“ defekt. Der andere funktioniert tadellos. In unserem Beispiel hat der Arbeiter (MTHFR-Enzym) also einen Schnupfen und braucht optimale Vorraussetzungen (Folsäure, Vitamin B2, B6 und B12), um seine Arbeit zu erledigen. Der Homocystein-Spiegel ist meist moderat erhöht.
  • Homozygote Mutation (ca. 5-15% der Merkmalsträger): Hier sind beide „Datenträger“ beschädigt. Unser Arbeiter (MTHFR-Enzym) ist richtig krank und kann trotz vorhandenen Baustoffen seine Arbeit nicht mehr gut erledigen. Der Homocystein-Spiegel ist deutlich erhöht. Menschen mit einer solchen Mutation benötigen Spiegel von Folsäure, Vitamin B2, B6 und B12, die mit der normalen Nahrung nicht zu erreichen sind. Durch gezielte Substitution von hochkonzentrierten Präparaten kann der Homocystein-Spiegel auch bei diesen Menschen gesenkt werden.

Man geht davon aus, dass es in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte von Vorteil gewesen ist eine MTHFR-Mutation zu haben, denn hatte der Mensch lange nichts zu essen bekommen, hatte er niedrige Spiegel an Folsäure und B-Vitaminen und damit ein hohes Homocystein. Ist er dann auf die Jagd gegangen, hat die erhöhte Gerinnungsaktivität des Blutes dazu geführt, dass seine Wunden schneller geheilt sind. Da er meist ohnehin nicht älter als 30-40 Jahre geworden ist, waren Gefäßkrankheiten für ihn kein Thema. Das ist ein möglicher Grund, warum sich die Mutation im MTHFR-Gen auf bis zu 40 % der Menschen ausgebreitet hat, denn sie war ein Selektionsvorteil, der uns in der heutigen Zeit aber eher schadet.


Wie ist der aktuelle wissenschaftliche Konsens zu dem Thema

Das Homocystein ein relevanter Risikofaktor ist, der durch Vitaminsubstition gesenkt werden kann, ist unstrittig.

Die wichtigste Studie in diesem Bereich (HOPE-2) kam zu folgenden Ergebnissen:

B-Vitamine / Folsäure

Placebo

Kardiovaskulärer Tod

10,0 %

10,5 %
Herzinfarkt

12,4 %

12,6 %

Schlaganfall

4,0%

5,3 %

Trotz guter Senkung des Homocysteins war der Unterschied insgesamt überraschenderweise nicht signifikant, also nicht groß genug um zu überzeugen. Kritisiert wird die Patientenauswahl der Studie, da nur Patienten mit bereits bestehender Gefäßkrankheit und beliebigem Homocysteinwert untersucht wurden.

Etwas anders ist die Situation aber in der Demenzforschung: Hier häufen sich die Studien, die zeigen, dass sowohl hohe Homocysteinwerte als auch niedrige Vitamin-B12-Werte die Alzheimerinzidenz erhöhen.

Wie Komplex die Siutation ist, zeigt auch eine Studie an Patienten mit milden kognitiven Ausfällen. Durch Vitamin Substitution konnte die voranschreitende Gehirnatrophie um 40 % gebremst werden. Die B-Vitamine verzögerten den Hirnabbau aber nur dann, wenn die Probanden einen guten Omega-3-Wert Fettsäure Wert im Blut aufwiesen.

Leider wird in Studien meist nur eine Monotherapie untersucht. Drei oder mehr Faktoren werden aus methodologischen Gründen praktisch nie berücksichtigt – obwohl es ja therapeutische Realität ist, dass wir bei komplexen Krankheiten mehrere Substanzen und auch noch Lebensstiländerungen gleichzeitig empfehlen. Dies müsste auch in kardiologischen Studien mehr berücksichtigt werden.


Zusammenfassung

  • Ein erhöhter Homocysteinspiegel führt zu Gefäßverkalkung und erhöht das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Demenz teils dramatisch.
  • Einen Einfluß auf den Spiegel haben Mikronährstoffe und die Genetik.
  • Der Spiegel ist durch Zufuhr individuell dosierter Mikronährstoffe (Folsäure, B-Vitamine) messbar zu senken.
  • Die Wissenschaft hat viele Zusammenhänge noch nicht ausreichend verstanden – eine uneingeschränkte Empfehlung zur Vitamin-Substitution kann ich nicht geben, wenngleich ich dazu eher positiv eingestellt bin. Sie können von mir eine ausgewogene differenzierte Beratung erwarten.
  • Die Kenntnis eines erhöhten Homocystein-Spiegels kann Motivation sein, z.B. das Rauchen aufzuhören, sich mehr zu bewegen und regelmäßig am Check-up 35 teilzunehmen (Diabetes und Cholesterin-Screening). Denn soviel ist klar: Ein übergewichtiger unsportlicher Raucher mit hohem Homocystein kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen auch tatsächlich schwer zu erkranken.

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