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Der gereizte Darm

Jeder 6. Mensch in Deutschland leidet an unspezifischen Beschwerden des Darmtraktes wie Blähungen, wechselhafte Schmerzen oder Stuhlunregelmäßigkeiten.

Nach unauffälliger Basisdiagnostik (s.u.) wird häufig die Diagnose „Reizdarmsyndrom (RDS)“ gestellt. Grundlage für diese Diagnose war nach traditioneller Auffassung, dass weder in Dünn- noch im Dickdarm fassbare pathologische Nachweise für eine organische Störung gefunden worden. So wurden die betroffenen oft an die Psychosomatik verwiesen, aber deren Therapieansätze halfen leider meist nicht weiter.

Inzwischen gibt es eine vollkommen neue Sichtweise auf das RDS, denn was den Darm so „reizt“, ist eine gesteigerte Empfindlichkeit der Nerven in der Darmwand.  So weisen RDS-Patienten eine veränderte zentrale Reizverarbeitung und eine Störung der Aktivierung der hemmenden absteigenden Nervenbahnen auf

Das Risiko an einer Überempfindlichkeit der Darmwamd zu erkranken steigt durch

  •  Magen-Darm-Infekte um den Faktor 3-12. Ausschlaggebend sind Schwere und Dauer des Infektes
  • Antibiotika: molekular-genetischer Verfahren zeigen bei Erwachsenen noch Schäden in der Besiedelung der Darmschleimhaut nach Antibiotika-Therapie in der Kindheit an. Dieser genetische Fingerabdruck im Bakterienrasen erhöht die Anfälligkeit für das RDS erheblich.

Diagnostik bei Reizdarm

Basisdiagnostik

Die Diagnose Reizdarm ergibt sich durch den Ausschluss anderer Diagnosen. Folgendes sollte durchgeführt werden. Folgende Untersuchungen sollten durchgeführt werden

  • Labordiagnostik / Blutentnahme
  • Ultraschall der Bauchhöhle
  • Magenspiegelung (ÖGD) und Darmspiegelung (Koloskopie)
  • H2-Atemtest auf Laktoseintoleranz (=Milchzucker) und Fruktoseintoleranz (=Fruchtzucker)
  • Bei Frauen: Gynäkologische Abklärung

Ergänzende Untersuchungen (je nach Beschwerdebild):

  • Screening auf Pankreas-Insuffizienz (=Sekretionsschwäche) bei chronischem Durchfall und/oder weichem fettigem Stuhl, durch Bestimmung von Elastase 1 aus einer Stuhlprobe
  • Screening auf Zöliakie (=Gluteninduzierte Enteropathie) durch Labordiagnostik bei Gewichtsverlust, weicher Stuhlgang mit unverdauten Bestandteilen, Abgeschlagenheit und Hinweise auf Vitaminmangelzustände.
    • Achtung: Sollten Sie sich bereits glutenfrei ernähren, verfälscht dies die Diagnostik. Einer Magenspiegelung oder Blutabnahme, welche mit dem Ziel erfolgen eine Zöliakie auszuschließen, sollte eine 3 monatige Glutenbelastung vorausgehen. 
  • Screening auf  Nahrungsmittelallergie bei gleichzeitigem Vorhandensein von Hautausschlägen, Hautverquellungen (Urtikaria/Nesselsucht), allergischer Rhinitis oder Asthma. In dieses Gebiet fallen folgende Krankheiten
    • Echte Nahrungsmittelallergie: Der Ausschluss einer echten Allergie erfolgt durch einen Bluttest (RAST). Eine echte Allergie als Ursache ist sehr selten der Fall – meist handelt es sich um eine Unverträglichkeit, der ein anderer Mechanismus zugrund liegt.
    • Nahrungsmittel-Unverträglichkeit: Diese kann durch eine sogenannte Suchdiät diagnostiziert werden. Diese wird in einem separaten Beitrag dargestellt (Suchdiät / Nahrungsmittel-Unverträglichkeit LINK). Es existiert zwar Labordiagnostik, die der Identifikation von Lebensmitteln dienen soll, diese ist aber extrem fehleranfällig, ungenau und teuer (Selbstzahlerleistung). Ich rate davon ab. Auf dringenden Wunsch kann Sie aber auch in unserer Praxis durchgeführt werden.
    • Histaminintoleranz: Wird diagnostiziert durch einen Bluttest (Diaminoxidase, ggf. Histamin)
  • Videokapsel-Endoskopie (=Darstellung des Dünndarms) bei Verdacht auf
    • Chronisch entzündliche Darmkrankheiten (z.B. Morbus Crohn, Kolitis ulcerosa)
    • Dünndarmtumor (zeigt sich z.B. durch sogenannte B-Symtomatik:
      • Unerklärliches Fieber
      • massiver Nachtschweiß
      • Ungewollter Gewichtsverlust von mehr als zehn Prozent des Körpergewichtes innerhalb von sechs Monaten
    • Dünndarmblutung
  • CT-Abdomen: Die Bildgebung vom ganzen Bauch geht mit einer immensen Strahlenbelastung einher und sollte deshalb nur bei unklaren Fällen mit Verdacht auf Tumorkrankheit angewendet werden
  • MRT-Abdomen: Die Bildgebung vom ganzen Bauch mittels Magnetfeld ist noch kein Standardverfahren und nur in wenigen Hochleistungsgeräten durchführbar. Die Darstellung vom Darm gelingt aufgrund sogenannter Bewegungsartefakte schlechter als im CT. Sie ist sinnvoll bei dringender Indikation während der Schwangerschaft oder bei Kindern.

Standardtherapie

Ein Reizdarm ist nicht gefährlich. Einigen Patienten reicht es das zu wissen. Symptome können mit klassischen Medikamenten gegen Übelkeit, Schmerzen, Verstopfung, Durchfall oder Blähungen oft ausreichend beherrscht werden. Gerne beraten wir Sie hierzu in unserer Sprechstunde.

Dann gibt es aber auch Patienten die einen ursächlichen Ansatz suchen oder die Beschwerden haben, die mit klassischen Medikamenten nicht ausreichend behandelbar sind. Für diese Gruppe sind die folgenden Therapieverfahren möglicherweise hilfreich.


Ernährung

Allgemeine Hinweise

  • Reduzieren Sie ihre Kohlenhydrat-Zufuhr (Weizen, Zucker, Süßigkeiten). Ein empfehlenswertes Buch zu dem Thema ist „Der Glukose-Trick“ von Jessie Inchauspé (LINK zu Thalia.de). Die hier empfohlenen „Tricks“ entsprechen zwar nicht den üblichen medizinischen Empfehlungen, ich halte die Ideen aber für sehr gut nachvollziehbar und vor allem alltagstauglich. Ein Buch zum Thema Zucker, das auch für Darmpatienten interessant ist. 
  • Trinken Sie ausreichend, das heisst ca. 2 Liter stilles Wasser oder ungesüßte Kräutertees pro Tag.
  • Meiden Sie blähende Speisen.
  • Vermeiden Sie späte Mahlzeiten, denn Nachts ist die Verdauungsaktivität reduziert. Das Abendessen sollte spätestens 19 Uhr beendet sein.
  • Essen Sie langsam, um weniger Luft zu schlucken und kauen Sie gut, das macht die Nahrung besser verdaulich.
  • Je komplexer ein Lebensmittel industriell verarbeitet wurde, umso schlechter verträglich ist es für gewöhnlich. Meiden Sie Fast-Food und essen Sie ballaststoffreich.
  • Folgende Stoffe sind besonders kritisch: Nitrit/Pökelsalz, Carrageen/Rotalge/E407, Palmöl, Emulgatoren, gehärtete Fette, Glutamat, Bisphenol A/BPA, stark zuckerhaltige Lebensmittel mit geringem Ballaststoffgehalt.

Die FODMAP-Diät

FODMAP ist die englische Abkürzung für fermentierbare Oligosaccharide,Disaccharide, Monosaccharide und (and) Polyole. Bei dieser Ernährungsform werden schnell diese schnell vergährenden Kohlenhydrate gemieden.

In einer Stunde an 104 Patienten mit Reizdarmsyndrom waren 51 zu FODMAP-armer und 53 zur Scheindiät beraten worden, die sie jeweils vier Wochen lang befolgen sollten.

Nach vier Wochen gaben 61 Prozent der Patienten mit FODMAP-armer Diät und 39 Prozent mit Scheindiät an, eine „adäquate Symptomkontrolle“ erreicht zu haben.

Eine gute Übersicht hat der NDR (Norddeutscher Rundfunk) für die Sendung „Die Ernährungs-Docs“ zusammengestellt:

Zusammenfassend kann die FODMAP-Diät ein wesentlicher Baustein zur Symptomkontrolle sein. Sie ist jedoch kein heilender Ansatz.

Durch die FODMAP-Diät kommt es zu einer Abnahme der guten und wichtigen Bifidobakterien im Darm, was langfristig die Symptomatik verschlechtern kann.

Deshalb sollte die Diät stets von einer probiotischen Zusatztherapie begleitet werden. Die Wirkung der diätischen Therapie wird dadurch nicht gestört.

Achtung: Bitte setzen Sie die FODMAP-Diät nicht ohne Ernährungsberater um! Da wichtige Nährstoffquellen fehlen, kann es bei nicht sachgemäßer Durchführung zu Mangelernährung kommen.


Gluten

Gluten ist ein Sammelbegriff für bestimmte Proteine, die in den Samen einiger Getreidesorten vorkommt.

  • Hirse, Reis, Mais, Teff und Pseudogetreide (Quinoa, Amaranth, Buchweizen) sind glutenfrei.

Die schwere Krankheit Zöliakie (= Gluteninduzierte Enteropathie – siehe Basisdiagnostik) ist von der Glutensensitivität zu unterscheiden, bei der Gluten lediglich nicht gut vertragen wird. Auch reagieren manche auch nicht auf Gluten, sondern nur auf nicht ausreichend fermentierte Schnellprodukte aus Backshops.

Eine glutenfreie oder -arme Ernährung führt, bei Glutensensitivität, innerhalb von wenigen Wochen zum Abklingen der Beschwerden. Sollte nach spätestens 8 Wochen aber keine Besserung eingetreten sein, macht es keinen Sinn diese Ernährungsform über Monate fortzuführen, in der Hoffnung, dass die Besserung doch noch irgendwann eintritt.

Die weiter oben vorgestellte FODMAP-Diät setzt übrigens ebenfalls schwerpunktmäßig auf glutenfreie Getreidesorten.

Eine glutenfreie Diät oder FODMAP-Diät verändert die Darmflora. Inwieweit diese Veränderungen eine ursächliche Rolle spielen ist aber noch unklar und Bestandteil von Forschungsvorhaben.


Komplementärmedizinische Ansätze

Lebensführung

Unser seelisches Allgemeinbefinden wirkt sich auch direkt auf den Darm aus. Hier können Entspannungsverfahren wie Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation hilfreich sein, die Ihnen helfen im Alltag ihr Stressniveau zu senken. Gerne helfe ich Ihnen diesbezüglich in der Sprechstunde weiter.

Eine rhythmische Lebensführung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für einen entspannten Darm. Weitere Informationen hierzu finden Sie in meinem Beitrag:


Klassische Naturheilkunde

Ich habe Ihnen Anleitungen für zwei kostengünstige und hilfreiche Therapieverfahren in meinem Ratgeber zur Verfügung gestellt:


Akupunktur

Sie wirkt beruhigend auf das, im Fall von Reizdarm, überempfindliche vegetative Nervensystems ein.

Mit  6 – 10 Sitzungen Akupunktur, kann man in vielen (aber nicht allen) Fällen eine spürbare Besserung erreichen. Die Maßnahme muss je nach Verlauf halbjährlich oder jährlich aufgefrischt werden.

Akupunktur bei Reizdarm ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen

Allgemeine Informationen zu Akupunktur in unserer Praxis erhalten Sie hier: Akupunktur (LINK).


Mikrobiologische Medizin / Darmsanierung

Der Mensch besteht zu einem Großteil aus Bakterien.  Ohne diese wären wir gar nicht lebensfähig. Das Verhältnis Bakterien zu Körperzellen wird mit 10:1 zugunsten der Bakterien geschätzt. Die Gesamtheit der Mikroorganismen bezeichnet man als die Mikrobiota. Die Mikrobiota wird in frühester Kindheit definiert und verfügt über einen eigenen genetischen Fingerabdruck. Die Gesamtheit aller mikrobiellen Gene bezeichnet man als Mikrobiom.

Diese Mikrobiom kann kaum verändert werden – es kann aber zu Verschiebungen im Mikrobiom zugunsten einzelner Stämme kommen.

Es ist leider nicht so, dass man durch Einnahme von Probiotika (Heilmittel mit Darmbakterien) die Darmflora nachhaltig verändern kann. Man muss sich allein die Mengenverhältnisse vor Augen halten: Eine Kapsel Bakterien vs. 100 Billionen körpereigene Bakterien – das ist nicht plausibel.

Probiotika können jedoch wie ein Medikament auf die Darmwand wirken. So hat z.B. ein lysierter Escherichia coli eine entzündungshemmende Wirkung auf die Darmwand, aber eben nur solange er eingenommen wird.

Ziel einer Darmsanierung ist es durch kontinuierliche Zufuhr von Heilmitteln ein Milieu im Darm zu erzeugen, in dem sich die Mikrobiota und die Darmwand regenerieren können.

Ein Reizdarm ist ein schwer zu beherrschendes Krankheitsbild – ein Heilversprechen kann auch mit dieser Therapieform nicht gemacht werden. Nach meinem Erleben gibt es Patienten die mit diesem Verfahren erfolgreich behandelt wurden. Es gibt jedoch auch Patienten, die trotz gewissenhafter Umsetzung des Therapieplanes nur eine unzureichende Besserung erfahren haben und der Effekt hält auch meist nicht dauerhaft an.

Eine Darmsanierung dauert meist mindestens 3 Monate und ist mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden.


Viszerale Osteopathie

Die inneren Organe sind durch Bindegewebe miteinander verbunden. Die meisten werden zudem vom Bauchfell umhüllt. Bei der viszeralen Osteopathie werden die Organe auf Bewegungseinschränkungen hin (z.B. durch Vernarbung nach Operationen oder durch Entzündungen in der Bauchhöhle) mit den Händen untersucht und behandelt.

Diese Therapieform ist eher für den Verwachsungsbauch geeignet, bei entsprechender Vorgeschichte kann sie jedoch zusätzlich zu den oben genannte Maßnahmen sinnvoll sein.

Bei der viszeralen Osteopathie werden die inneren Organe sowie ihre umgebenden Strukturen auf Bewegungseinschränkungen hin untersucht und behandelt.

Allgemeine Informationen zu Osteopathie in unserer Praxis erhalten Sie hier: Osteopathie (LINK).